Diabetes in der (Ex-)DDR
Die oralen Antidiabetika entstanden meist erst nach dem 2. Weltkrieg. Obwohl schon in den 40er Jahren bekannt, wurde auch in der DDR erst in den 50er Jahren die blutzuckersenkende Wirkung der Sufanylharnstoffe untersucht und zur Produktionsreife gebracht. In der chemischen Fabrik von Heyden/Radebeul wurde unter Haack und Carstens die Wirkung der Depot Sulfonamide (CA 1022, Loranil, 1951 synthetisiert) untersucht. So dass, das später unter dem Namen Oranil erscheinende Produkt in den 50er Jahren erprobt werden konnte. Die Flucht von Haack in den Westen war der Startschuss des unter Boehringer/Mannheim veröffentlichte Medikament BZ 55, welches im Westen weiterentwickelt wurde. Doch auch in Dresden ging die Entwicklung weiter. Der Sulfanylharnstoff Tolbutamin, ebenfalls in Ost und West fast zeitgleich entwickelt kam in der DDR unter dem Namen Orabet raus. Doch der fast als Wettstreit zu bezeichnende Forschungsdrang führte zur nächsten Generation von Antidiabetika: Glibenclamid. Dieses fand sich westlich der Mauer in dem Präparat Euglucon und östlich der Grenze als Maninil wieder. Dies war in der DDR auch das letzte orale Antidiabetika welches sich bis zur Wende mit Orabet den „Markt“ teilte, während die westdeutsche Entwicklung noch einige besondere Ableger dessen mit einem besonderen Wirkungsprofil hervorbrachte. Die Produktion an Maninil war trotz steigender Typ-2-Diabetikerzahlen und beginnenden ernsthaften wirtschaftlichen Problemen nie gefährdet: Es wurde sogar zu einem Exportschlager, bspw. in die Sowjetunion oder anderen Ländern.
Wie sah es nun mit den Biguaniden aus, welche heute noch in Form von Metformin ein häufiges Medikament darstellen. Die DDR Forschung setzte jedoch, obwohl Metformin bekannt war, auf Buformin. Dieses wurde bis zur Wende in großen Maßen produziert und dann international bedingt auf Metformin umgestellt.
Die Verschreibung jeglicher Antidiabetika, sei es Insulin oder oraler Natur, durften nur in speziellen Kreis- und Bezirksstellen für Diabetes erfolgen. Dies hatte den Vorteil, dass die Versorgung nur in den Händen ausgebildeter Spezialisten, bspw. in der Diabetesklinik Karlsburg oder bis 1978 in der zentralen Kinderklinik für Diabetes auf Rügen (Garz), lag und die Patienten so weit wie möglich versuchten mit gewichtsreduzierende und diätische Maßnahmen auszukommen. Ein weiterer Vorteil der zentralen spezialisierten Betreuung des Diabetes lag in der genauen – noch heute für Deutschland einmaligen Statistik. So wurden 40% nur mit Diät behandelt, 40% mit oralen Antidiabetika und 20% mit Insulin. Der hohe Anteil der Diätpatienten resultierte aus den systematischen und oft wiederholten flächendeckenden Reihenuntersuchungen, um den Diabetes Typ-2 so früh wie möglich zu entdecken.(1)
Bei Typ-1-Diabetes sah das nicht ganz so rosig aus, da Hilfsmittel eher Mangelware waren als chemische orale Medikamente. Einmalspritzen, Blutzuckermesstreifen und später Pens waren zwar bekannt und wurden auch erforscht, konnten jedoch aufgrund von Produktionsknappheit nicht im ausreichenden Maße hergestellt werden. In den 50er und 60er Jahren wurden viele Typ-1-Diabetiker aufgrund von Insulinknappheit noch mit importierten Insulin aus Dänemark versorgt. Die Kanülen zur Injektion waren oft sehr dick und mussten selbst nachgeschliffen werden. Diese Prozeduren und Probleme waren zwar im Westen ebenfalls bekannt, konnten jedoch in den 80er Jahren abgelegt werden. Stattdessen gab es starre Eß- und Spritzschemata (CT) und strenge Diäten. Blutzuckerteststreifen gab es nur für Kinder, Schwangere und labile Typ-1er. Der Rest musste bis Mitte der 80er Jahre den BZ in der Klinik messen lassen. Nur Harnmesstreifen waren für den Ambulanzen und begrenzt auch zu Hause vorhanden. Weniger schön war gleichfalls die – gleichfalls im Westen spät eingeführte – in der DDR jedoch verbotene Selbsthilfe und der Erfahrungsaustausch. Privates Engagement wurde in den Augen des Ministeriums für Staatssicherheit als immanente Systemkritik gesehen. 1984 wurde ein von den Bezirksdiabetologen eingesetztes „Patientenaktiv“ eingesetzt, welches sich zwei Mal jährlich in Karlsburg traf und Mitspracherecht im Sinne des Patienten erstritt. Westdeutsche Einwegspritzen wurden auf diesem Weg in die DDR importiert.(2)
So läßt sich international zusammenfassen, dass die Versorgung der Diabetiker in der DDR zwar Schwachstellen hatte, im Vergleich jedoch auf gutem Niveau war.
Inhaltliche teilweise Quelle: Diabetes aktuell 3/2004 S.38-30 (Prof. Dr. Waldemar Bruns) (1) u. Diabetiker Ratgeber 4/2007 S.77-82 (2)